Rückblick auf die Bildungsarbeit in Afghanistan

Die Arbeit in Afghanistan ist ausgesetzt

Am 15. August 2021 übernahmen die Taliban die Kontrolle über die Hauptstadt Kabul. Wie viele andere Hilfsorganisationen und Einrichtungen, haben die Jesuiten, die seit 2004 in Afghanistan tätig waren, ihre Mission im Land ebenfalls auf unbestimmte Zeit ausgesetzt.

Es waren vor allem indische Jesuiten, die unter dem Dach des jesuitischen Flüchtlingsdienstes (JRS) nach Afghanistan kamen. Sie kamen, um den Afghaninnen und Afghanen beim Wiederaufbau des vom Krieg verwüsteten Landes durch Bildung zu helfen. Das war zwei Jahre nachdem Papst Johannes Paul II. im Mai 2002 eine Mission für Afghanistan eingerichtet hatte. Im Rahmen ihrer Arbeit bildeten die Jesuiten mehr als 300 junge Lehrpersonen aus und trugen so zur Bildung von mehr als 25 000 Jungen und Mädchen in vier Provinzen bei. Junge Mädchen waren die Hauptnutzniesserinnen der Jesuitenmission.

Der indische Jesuit Bruder Noel Oliver SJ, der heute für die Jesuitenmission in Kambodscha arbeitet, erinnert sich in diesen Tagen besonders an die ersten Jahre der jesuitischen Bildungsarbeit in Afghanistan. Er war an deren Anfängen massgeblich beteiligt.

Bruder Noel Oliver SJ kam im April 2005 nach Kabul, um einige Tage später nach Herat weiterzufahren. Zusammen mit dem damaligen Provinzial der indischen Andhra-Provinz, Pater Anthony Santiago SJ, wollte er sich ein Bild von der Lage machen. Und sehen, wo die Jesuiten mit ihrer Bildungsarbeit beginnen könnten. Er erzählt davon, wie er in den ersten Tagen die Herat Technical Vocational High School, die technische Berufsschule von Herat, besuchte und von der fehlenden Ausstattung schockiert war. Ausser vier Räumen, einfachen Tischen und Stühlen und sieben Büchern gab es dort nichts. In einem kleinen Raum sassen 24 Mädchen und lernten Englisch. Die über 40 Jungen, so sagte man ihm, seien in der benachbarten Moschee untergebracht, die ihnen einen Raum zur Verfügung gestellt hatte.

Die Tatsache, dass so viele Mädchen in der Schule waren und lernen wollten, hat Bruder Noel Oliver SJ überzeugt, diese Schule zu unterstützen. Schnell stellten er und der Direktor der Schule fest, dass sie nicht nur eine gemeinsame Sprache sprachen, Deutsch, sondern auch ein gemeinsames Interesse verfolgten. Mit den ersten 1’200 US-Dollar kauften die beiden Fachbücher und notwendige Instrumente für die Ausbildung der Schülerinnen und Schüler. Durch diese Unterstützung ermutigt, gelang es dem Direktor, vom Ministerium ein weiteres Gebäude zu erhalten, das er für die Schule nutzen konnte. Notwendig waren Mittel für die Reparatur des gesamten Gebäudes und den Bau von Toiletten. Auch eine Heizung für den Winter wurde besorgt. Der Direktor hat das meiste der Instandsetzung aus eigener Tasche bezahlt. Bruder Noel Oliver SJ erklärte er das so: «Das Gehalt, das ich vom Ministerium bekomme, reicht weder für meine Benzinkosten noch für Zigaretten. Ich bin ein reicher Mann, besitze Land und ein Teppichgeschäft. Eigene Kinder aber habe ich keine, die Schüler und Schülerinnen sind meine Kinder, ich tue alles für sie.»

Bruder Noel Oliver SJ war zutiefst beeindruckt. Er hat in den zwei Jahren seines Wirkens in Afghanistan wunderbare Menschen kennengelernt und betrachtet die letzten Entwicklungen mit Sorge. Vor allem die Frauen und Mädchen sind in Gefahr, das Erreichte und Erkämpfte in kürzester Zeit wieder zu verlieren.

Der damalige Direktor sagt im Rückblick: „Alles, was der JRS getan hat, war wie ein persönliches Geschenk für mich und ich werde es niemals vergessen. Die technische Schule auf den jetzigen Stand zu bringen, hat der jungen Generation Hoffnung gegeben. Die hier ausgebildeten Ingenieurinnen und Ingenieure tragen zur Entwicklung der gesamten Region bei.“

Die technische Berufsschule von Herat war nur der Anfang. Dazu kamen bald Winterschulen in Kabul, in Herat und vielen anderen Orten der Provinzen Bamiyan und Daikundi. Tausende Mädchen und Jungen erhielten hier Englisch- und Computerunterricht und wurden durch Intensivkurse fit gemacht für die Matura. In Sohadat, einer tristen Siedlung bei Herat, halfen die Jesuiten beim Aufbau einer Grundschule und der Wasserversorgung. An der Universität von Kabul unterrichten sie. In Bamiyan begannen sie mit Englisch-, Pädagogik- und Mathematikkursen für angehende Lehrerinnen und Lehrer, unterstützten Landwirtschafts-projekte sowie Selbsthilfegruppen für Frauen. Über das Hochschulprogramm Jesuit Worldwide Learning (JWL) konnten junge Frauen und Männer an verschiedenen Standorten studieren und ein international anerkanntes Diplom erhalten.

Diejenigen, die das Land verlassen können, sind die Gebildeten. Ihre Flucht ist ein zusätzlicher Verlust für Afghanistan. Der JRS wird auch in Zukunft die Menschen begleiten, die gezwungen sind, aus ihrer Heimat zu fliehen, und afghanische Flüchtlinge auf der ganzen Welt unterstützen.

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