Pater Stan Swamy SJ im Gefängnis

Magazin Ostern 2021

Am 8. Oktober 2020 wurde der 83-jährige, an Parkinson leidende Pater Stan Swamy SJ zusammen mit 15 anderen Engagierten verhaftet. Alle setzten sich für die Rechte von Minderheiten in Indien ein. Zur Last gelegt werden ihnen Verbindungen zu maoistischen Gruppierungen, namentlich den Initianten des so genannten Bhima-Koregaon-Vorfalls. Vorwürfe, die Stan Swamy stets zurückgewiesen hat. Anfang 2018 kam es im Bundesstaat Maharashtra zu gewalttätigen Demonstrationen. Zwei Tage vor seiner Verhaftung bestreitet Stan Swamy diese Anschuldigung in einer Videobotschaft. Vielmehr sieht er seine bevorstehende Verhaftung im Zusammenhang mit seinem Engagement für die Menschen im Bundesstaat Jharkhand: «Was mit mir geschieht, ist nicht etwas Einmaliges, das nur mit mir geschieht. Es ist ein breiterer Prozess, der sich im ganzen Land abspielt. Wir sind uns alle bewusst, dass prominente Intellektuelle, Anwälte, Schriftsteller, Dichter, Aktivisten, Studenten, Führer ins Gefängnis gesteckt werden. Dies, weil sie ihre abweichende Meinung geäussert oder Fragen über die herrschenden Kräfte Indiens aufgeworfen haben. Wir sind ein Teil dieses Prozesses. In gewisser Weise bin ich glücklich, Teil dieses Prozesses zu sein. Ich bin kein stiller Zuschauer, sondern Teil des Spiels, und ich bin bereit, den Preis zu zahlen, was auch immer es sein mag.»

Hintergrund
Seit Jahren engagiert sich Stan Swamy im Bundesstaat Jharkhand, einer der ärmsten Regionen Indiens, für die Rechte der Adivasi, wie sich die indische Urbevölkerung selber bezeichnet. Sie erden oft durch Bergbauprojekte von ihrem angestammten Land vertrieben, enteignet und mit minimalen Entschädigungen abgespeist. Stan Swamy förderte junge Adivasi beim Einfordern der ihnen zustehenden Bürgerrechte. Der eigentliche Grund für die gegenwärtige Inhaftierung liegt nach seiner Einschätzung in einer im Jahr 2017 eingereichten Klage im Namen von rund 3000 inhaftierten Männern und Frauen der Adivasi gegen den Bundesstaat Jharkhand. Abgestempelt als Maoistinnen und Maoisten. Verlangt wurde deren Freilassung. Seitdem erlebt Stan Swamy vermehrt Repressionen. In der Videobotschaft sagt er, dass sein Computer manipuliert wurde. Dies konnte in den vergangenen Wochen durch Untersuchungen glaubhaft belegt werden. Offensichtlich wurden ihm Daten untergejubelt.

Im Gefängnis
Stan Swamy wurde darauf am 8. Oktober 2020 in Ranchi durch die National Investigation Agency (NIA) verhaftet und in das Taloja-Gefängnis in Mumbai überführt 1700 Kilometer oder 35 Stunden Autofahrt von Ranchi entfernt. Ihm wie den anderen Weggefährten werden maoistische Aktivitäten vorgeworfen. So sind sie unter dem Unlawful Activities (Prevention) Act 1967 angeklagt. Damit kann eine Freilassung auf Kaution verweigert werden. So überrascht es nicht, dass die Behörden kein Interesse an einer Klärung der Situation zeigen. Eine vorläufige Haftbefreiung auf Kaution aus medizinischen Gründen wurde erstmals am 23. Oktober 2020 abgelehnt.
Zur Illustration die Geschichte rund um eine Trinktasse: Da er aufgrund seiner Parkinson-Erkrankung nicht in der Lage ist, ein Glas zu halten, beantragte er am 6. November 2020 beim Gericht eine Trinktasse mit Strohhalm. Am 26. November 2020 teilte die NIA mit, dass sie dies nicht hätten. Darauf beantragte er ein zweites Mal eine Freilassung auf Kaution. Erneut begründete er dies mit seinem Alter und der Parkinson-Erkrankung. Das Gericht vertagte die nächste Anhörung auf den 4. Dezember 2020. Immerhin wurden die Gefängnisbehörden
angewiesen, auf seinen Antrag auf Strohsack und warme Winterkleidung zu reagieren. 50 Tage nach seiner Verhaftung und inmitten der öffentlichen Empörung in Indien erhielt Stan Swamy endlich eine Trinktasse vom Taloja-Gefängnis. Mit ihm sind weitere Aktivisten in diesem Gefängnis untergebracht. Sie können in einem eng begrenzten Rahmen miteinander sprechen.

Internationale Solidarität
Weltweit wird auf das Schicksal von den inhaftierten Aktivistinnen und Aktivisten aufmerksam gemacht und an Regierungen und internationale Organisationen Bittbriefe geschrieben. Wir baten Bundesrat Ignazio Cassis, Vorsteher des EDA, in seinen regelmässigen Gesprächen mit indischen Regierungsvertretern die Menschenrechtssituation von Stan Swamy und den weiteren Inhaftierten anzusprechen. Nach all den weltweiten Initiativen soll Anfang März 2021 über eine Freilassung auf Kaution entschieden werden, so hat es die zuständige Behörde Ende Februar 2021 angekündigt.

Rechte für die Menschen
Dass das Engagement für Menschenrechte in Indien nicht erwünscht ist, musste auch Amnesty International Indien Ende September 2020 erfahren: Ihre Bankkonten wurden eingefroren und sie wurden
gezwungen, ihre Tätigkeiten vor Ort vorerst einzustellen.
Wer sich auf der Grundlage des geltenden Rechts für die marginalisierte indigene Bevölkerung engagiert, riskiert Konflikte mit den Mächtigen vor Ort. Der bekannte Historiker und Schriftsteller Ramachandra Guha formulierte am 23. Oktober 2020 auf Twitter: «Stan Swamy hat ein Leben lang für die Rechte der Adivasi gekämpft. Das ist der Grund, weshalb die Modi-Regierung versucht, sie zu unterdrücken und mundtot zu machen. Für dieses Regime haben die Profite der Bergbauunternehmen Vorrang vor der Existenz und dem Lebensunterhalt der Adivasi.»
In Jharkhand sind gemäss Recherchen der WOZ (Nr. 46/2020 vom 12. 11. 2020) auch Schweizer Wirtschaftsunternehmen involviert. Adrian Riklin berichtet, wie aufgrund fingierter Anklagen Aktivisten verhaftet werden. «Jüngstes Opfer dieser Kriminalisierung wurde im Oktober der 83-jährige Jesuitenpater Stan Swamy.» Es ist eine der gefährlichsten Regionen der Welt für Journalistinnen und Journalisten. Der Schutz der Rechte der Menschen bleibt weiterhin wichtig. Der Prozess für mehr Gerechtigkeit geht weiter.

Toni Kurmann SJ

Forest

LINKS: Zunehmend wird die christliche Minderheit eingeschüchtert, Solidarität instrumentalisiert. Foto SJES Rom

RECHTS: «Hoffen wir, dass sich die menschliche Vernunft durchsetzt. Wenn nicht, bin ich bereit – und ich hoffe, dass alle, die mich kennen und die den Bericht lesen, ebenfalls bereit sind, sich dem zu stellen, was auf sie zukommt.» Bild: SJES Rom

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