Myanmar: Gewalt im goldenen Land

Pater Raper SJ über Hintergründe des Flüchtlingsdramas der Rohingya

Nach Jahrzehnten der Selbstisolierung wird Myanmar jetzt von der Welt entdeckt. Vormals Burma genannt, grenzt der größte Festlandstaat Südostasiens an China, Indien, Thailand, Laos und Bangladesch. Mit seinen prächtig-funkelnden Pagoden und Hunderten verschiedenen ethnischen Kulturen wirkt das Land exotisch und faszinierend. Die Menschen in Myanmar sind offen, herzlich und respektvoll. Auch deshalb erschien die Gewalt gegen die Rohingya wie ein Schock. Die massive, plötzliche Bewegung von mehr als einer halben Million Flüchtlingen aus dem nördlichen Bundesstaat Rakhine nach Bangladesch in den letzten Monaten des Jahres 2017 zog die Aufmerksamkeit der Welt auf sich. Grauenerregende Bilder von brennenden Dörfern und verzweifelten Frauen, Kindern und Männern erschienen in jeder Zeitung.

Wie viel Macht hat die Präsidentin?

Aung San Suu Kyi, zuvor als Ikone des mutigen Widerstandes angesichts von Unterdrückung gefeiert, wurde von vielen für ihr Schweigen verurteilt und sogar der Mittäterschaft verdächtig für das, was wie eine geplante ethnische Säuberung aussieht. Aber vielen Kritikern scheint nicht bewusst zu sein, dass diese Krise seit Jahrzehnten schwelt und in einem Gebiet stattfindet, in dem die neue Zivilregierung kaum oder gar keine Kontrolle und auch so gut wie keinen Zugang hat.

Der Besuch von Papst Franziskus in Myanmar und Bangladesch im November 2017 hat die Aufmerksamkeit stärker auf dieses leidende Volk gerichtet. Würde er das Wort «Rohingya» benutzen? Bei seinem Besuch in Myanmar hat Papst Franziskus im Privaten wohl sehr deutlich gesprochen, aber er sich in der Öffentlichkeit nicht direkt namentlich auf die Rohingya bezogen. In Bangladesch, bei einem Treffen mit Flüchtlingen, sagte er: «Heute heißt die Gegenwart Gottes auch Rohingya.»

Bewusste Eskalation

Die Gewalt gegen die Minderheit der Rohingya ist kein plötzliches und einmaliges Vorkommnis. Schon vor mehr als 25 Jahren hat der Flüchtlingsdienst der Jesuiten (JRS) auf die Notlage der Rohingya aufmerksam gemacht und bereits in den frühen 1990er Jahren ein Hilfsprogramm für Flüchtlinge in Cox’s Bazaar in Bangladesch gestartet. Die lange Geschichte von Vernachlässigung und Missmanagement im nördlichen Bundesstaat Rakhine hat dazu geführt, was Kofi Anan als eine Mischung aus Entwicklungs-, Menschenrechts- und Sicherheitskrise beschrieben hat. In den vergangenen Jahren ist die Propaganda und Gewalt gegen die Rohingya und Muslime absichtlich zur Eskalation gebracht worden, besonders in der Zeit vor den Wahlen 2015. Damit wurden fundamentalistische und nationalistische Interessen bedient und befeuert. Damals sollten diese Attacken die Beliebtheit von Aung San Suu Kyi untergraben. Der politische Zweig der Armee bezeichnete sich selbst als nationalistisch, während Aung San Suu Kyis NLD Partei als pro-muslimisch dargestellt wurde.

Die Altlasten der Vergangenheit

Trotzdem fuhr die NLD (Nationale Liga für Demokratie) einen begeisternden Sieg ein und Myanmars erste Zivilregierung trat Anfang 2016 an. Viele jubelten und freuten sich. Aung San Suu Kyi, die den größten Teil der vergangenen zwanzig Jahre inhaftiert gewesen war, wurde nun zur Anführerin des zivilen Armes der Regierung von Myanmar. Damit war das Ende des Burmesischen Sozialismus eingeläutet, brutale sechs Jahrzehnte, in denen das Bildungs- und Gesundheitswesen sowie alle sozialen Dienste zerstört wurden, eine florierende Wirtschaft zusammenbrach, Widerspruch und Gegenstimmen scharf niedergemacht wurden. Eine riesige Zahl von Leuten fand auf dem Land aufgrund von Armut und ungeklärten Besitzverhältnissen kein Auskommen mehr und wanderte in die überfüllten Städte, um dort Anstellung in einer Fabrik zu finden oder sie suchten als Arbeitsmigranten im Ausland einen Job.

Die Demokratie – alles nur «Fassade»

Die neue Regierungsweise ist ohne Zweifel eine Verbesserung. Aber Wiederaufbau und Erholung werden Jahrzehnte brauchen. Ein Volk, das so lange seiner eigenen Rechte beraubt wurde, muss wieder lernen, die Rechte anderer zu achten. Die Partei NLD hat die Entwicklung des Gesundheits- und Bildungswesens zu ihren Prioritäten erklärt. Langsam aber sicher tut sich etwas auf diesen Gebieten. Demokratie ist jedoch immer noch nur eine Fassade. Im Hintergrund bleibt das Militär ungeheuer mächtig, wie an der Krise in Rakhine zu sehen ist. Leider wird das Militär, vor allem von ethnischen Minderheiten, als eine Klasse jenseits der normaler Bürger wahrgenommen.

Die Macht des Militärs

Die Militärregierung hat 2008 eine neue Verfassung eingeführt. Aber 25 % der Parlamentssitze bleiben dem Militär vorbehalten und die Verabschiedung von Gesetzen braucht eine Mehrheit von mehr als 75 % der Stimmen. Festgeschrieben ist darüber hinaus die militärische Führung der wichtigen Ministerien für Inneres, Grenzen und Verteidigung. Eine Klausel erlaubt die Aufhebung der Verfassung, falls die nationale Sicherheit gefährdet scheint und wesentliche Teile der Verwaltung des Landes einschließlich des Steuerwesens sind fest dem Innenministerium zugeordnet. Dieses berichtet nicht der zivilen Seite der Regierung, sondern unmittelbar dem Oberbefehlshaber des Militärs. Im Ergebnis gibt es zwei getrennte Regierungen. Die zivile, von der NLD geführte Regierung gleicht einem vom Hals abwärts gelähmten Körper, unfähig die Hände oder Beine zu bewegen. Und dies wegen einer einzigen fehlenden Stimme im Parlament.

Schwerer Stand für Christen

Die Kirche selbst wird nicht direkt diffamiert. Da aber die meisten der 700.000 Gläubigen aus ethnischen Minderheiten kommen, erfolgt die Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft. Während der größte Konflikt der gegenwärtigen Eskalation im Bundesstaat Rakhine entbrannt ist, erlebt Myanmar vielfältige humanitäre Krisen, die meist in Gebieten mit ethnischen Minderheiten und reichen Ressourcen stattfinden. Mehr als zwanzig bewaffnete Widerstandsgruppen, die größte mit mehr als 20.000 Kämpfern, bekriegen sich in unterschiedlichen Regionen mit dem Militär. Die Zusammenstöße belasten viele Bundesstaaten, wo überwiegend Christen leben.

Die Jesuiten – an der Seite des Volkes

In dieser entscheidenden Zeit des Wandels hat der Jesuitenorden entschieden, der Kirche und dem Bildungswesen in Myanmar zu dienen. 1998 kamen auf Weisung des damaligen Generaloberen Pater Hans Kolvenbach SJ drei Jesuiten nach Myanmar und begannen mit dem Aufbau. Aktuell arbeiten hier insgesamt 51 Jesuiten, allerdings sind 25 von ihnen noch in der Studienphase ihrer Ausbildung oder im Noviziat, das seit 1999 besteht. Unterstützt werden sie von 17 Jesuiten aus zehn anderen Ländern. Inzwischen betreibt der Orden neun Schulen und soziale oder pastorale Einrichtungen in vier Bistümern. Bis heute bedarf dieses Engagement im Land der Förderung von außen. Das Streben der Bildungseinrichtungen nach finanzieller Unabhängigkeit ist schwierig, da sie benachteiligten Bevölkerungsgruppen dienen. Trotz der jüngsten Krisen ist die Bevölkerung des Landes im Herzen tolerant gegenüber allen Religionen, versteht sich auf Solidarität und selbstlosen Einsatz für den Aufbau der Gesellschaft. Die Jugend strebt nach guter Bildung und erkennt die Freude und Stärke ethnischer wie religiöser Vielfalt. Als Jesuiten erfahren wir den Segen, in diesem entscheidenden Moment der Geschichte an der Seite des Volkes von Myanmar zu stehen.

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