– Reisebericht Vietnam

Junge Kirche, armes Land

Stefan Taeubner SJ ist Seelsorger für Katholik:innen vietnamesischer Sprache im Bistum Dresden-Meißen. Das Tet-Fest, das große vietnamesische Neujahrs- und Fami­lienfest, nahm er zum Anlass für seine erste Vietnam-Reise nach vier Jahren Corona-Pause. Er berichtet von einer jungen, aktiven Kirche in einem Land, das weiter von großer Armut geprägt ist.

Undercover

Wenn ich mit dem Taxifahrer in Saigon auf dem Weg von Flughafen zur Kommunität der Jesuiten ein Gespräch anfange und die Adresse fehlerfrei aufsagen kann, ernte ich ungläubiges Stauen: Wie viele Jahre arbeiten sie schon hier? Ich arbeite nicht in Vietnam, ich bin zu Besuch hier, antworte ich in gutem Vietnamesisch. Nein, nein! Das wird nicht akzeptiert. Nun beginnt ein übliches hin- und her zwischen ungläubig bohrenden Fragen des Taxifahrers und ausweichenden Antworten von mir. Ja, ich arbeite für Vietnamesinnen und Vietnamesen in Deutschland und hier besuche ich….meine Familie zum Tet-Fest“, das ist das große Neujahrs- und Fami­lienfest der Vietnames:innen. Schon prasseln die Fragen zu allen Fami­lienmitgliedern auf mich ein. Ich möchte mich immer noch nicht offen in Vietnam als Priester erklären, bin ich doch formal als Tourist hier. Am Ende bemerkt der buddhistische Taxifahrer noch, der Himmel würde sicher meine Großzügigkeit erkennen und mich dafür segnen. Also gut.

Besonders wichtig war: Ich konnte wieder die verschiedenen Kinder-Projekte besuchen, die wir von Deutschland aus mit Hilfe der Jesuitenmission unterstützten: Rechtzeitig zum Tet Fest, dem großen Neujahresfest, war ich in Quang Binh bei Sr. Lan und den kreuzliebenden Schwestern von Huong Phuong. Zusammen mit den Kindern aus dem Heim „Vincente“ gab es eine festliche Neujahresmesse und einen wunderbaren Kulturabend, den die gehandicapten Bewohner:innen immer selbst gestalten.

Mit den Schwestern und Verantwortlichen sprach ich bei dieser Gelegenheit auch über die nun erwarteten Präventionskonzepte für jede Einrichtung. Gleichzeitig konnte ich in drei Konventen zweitägige Schulungen für Ordensschwestern und deren Kandidatinnen zum Thema sexueller Missbrauch in der Kirche und Prävention halten. Ein neues und sehr bewegendes Thema für Vietnam.

Schwestern im Kampf gegen die Armut

Oft wurde ich auf meiner Reise von Oberinnen und Bischöfen mit großer Sorge zur Lage der Kirche in Deutschland befragt: Was passiert da in Deutschland? Ich habe die anstehenden Reformthemen verteidigt und mehrfach versichern müssen, dass es keine erneute Abspaltung der Kirche in Deutschland geben wird. Diese gegenseitige Sorge in der einen großen Kirche hat mich schon auch beeindruckt.

Die Kirche in Vietnam ist nach wie vor sehr jung, sehr aktiv und hat viele Berufungen. Sonntags gibt es in den Pfarreien zahlreiche Messen, jeweils eine eigene für die Kinder und eine für die Jugendlichen. An einer solchen Messe mit fast 1.000 Kindern und ihren Gruppenleiter:innen habe ich teilgenommen. Allein schon der laute und engagierte Gesang der unzähligen Kinderstimmen hatte mich zu Tränen gerührt.

Mit viel Geld vor allem aus dem Ausland ist die Kirche in Vietnam überall unglaublich aktiv in Neubauten: Kirchen, Pfarrhäuser, Schulen für Religionsunterricht, Konvente und Kinderheime. Überall wurden mir stolz den entstehenden Neubauten gezeigt.

Auf der anderen Seite war die Armut auf dem Land, vor allem bei den Völkern der ethnischen Minderheiten nach wie vor greifbar. Aktive Ordensschwestern bringen uns in langen Autofahrten zu abgelegenen Dörfern. Dort leben Fami­lien in schlichten Häusern mit Betonboden und undichtem Dach auf engem Raum, die Küche und das Toilettenhäuschen sind im Garten. Die Schwestern kümmern sich um das Nötigste, helfen bei Hausbau und sorgen vor allem dafür, dass die Kinder zur Schule gehen können. Dazu betreiben sie mehrere kleine Internate an den zentralen Schulorten, wo sie die Kinder und Jugendlichen aus der Gegend aufnehmen und gut begleiten.

Denkwürdige Begegnung

An einem Ort begegnete uns der „Besessene von Gerasa“, jedenfalls musste ich sofort an die entsprechende Szene aus einem Jesus Film denken. Der Mann war völlig nackt! Vielleicht 40 Jahre alt, hatte ein klares Gesicht und war an einem Fuß mit einer dicken Eisenkette am Boden festgemacht. Sein Raum war ganz kahl, ohne Matte, ohne Eimer für die Notdurft, ohne Wassergefäß, einfach nichts… Er würde in seinen Anfällen alles zerstören und hinauswerfen. Seine Hütte stand hinter dem Haus der ärmlich und traurig wirkenden Familie. Schockiert standen wir vor dieser plötzlichen Begegnung, ich mit einem Begleiter aus Berlin und den Schwestern, die uns zu diesem Ort gebracht hatten.

Ich begann spontan zu singen, ein frommes Lied, dann noch eines. Und, er stimmte mit ein! Für einige Minuten sah er uns freundlich und offen an. Wir beteten zusammen. Dann sank er wieder in sich zusammen. Ich habe die Schwestern gebeten, ihn so bald wie möglich in eine psychiatrische Klinik zu bringen. Das nächste Mal möchte ich ihn, ordentlich „gekleidet“ mit uns am Tisch sitzen sehen (vgl. Mk 5,15). Und ja, für die Behandlungskosten kommen ganz sicher die Spenderinnen und Spender auf!

Schließlich war ich ein paar Tage im großen Studienzentrum der Jesuiten in Saigon. Dort wurde ich bei den Mitbrüdern herzlich und freudig aufgenommen. Die Provinz der Jesuiten in Vietnam ist mit nunmehr 230, zumeist jungen Mitgliedern, in den letzten 10 Jahren enorm gewachsen und hat viele neue Standorte im ganzen Land neu errichten können.

„Herr, es ist gut, dass wir hier sind“

Am Ende meiner Reise steht immer noch ein ganz wichtiger Besuch: Das Zentrum für Kinder und Jugendliche, die HIV Positiv sind „Mai Tam“. Es liegt in der Nähe des Wallfahrtsortes, Maria von Fatima am Saigon Fluss. Das Zentrum wird von Camilianern betreut. P. Josef Toai MI, der Leiter des Zentrums, hatte in Rom bei P.Hans Zollner studiert, und war auf dem aktuellen Stand, was Prävention und das Schutzkonzept angeht. Besonders bewegend war es dann für mich, mit den Kindern und Mitarbeiterinnen des Heimes die Messe zu feiern. An diesem Ort empfinde ich jeweils eine ganz tiefe Übereinstimmung von gepredigtem Glauben und erfahrener Wirklichkeit: „Herr, es ist gut, dass wir hier sind,“ wollte ich an dieser Stelle mit den Worten der Jünger sagen. 
So bin ich erfüllt und gestärkt mit neuer Kirchenerfahrung zurück in Deutschland und stoße hier wieder auf eine ganz andere Problemlage. Ich danke Gott und vor allem den Vietnamesinnen und Vietnamesen für diese wunderbare Erfahrung und Bereicherung, die ich in einem Monat in Vietnam erleben durfte. Ich danke den vielen Spender:innen in Deutschland und der Missionsprokur der Jesuiten, die über viele Jahre die Projekte in Vietnam ermöglichen. Das besonders Wertvolle in der Verbindung zwischen Deutschland und Vietnam in der einen Kirche möchte ich weiter verfolgen. Der Taxifahrer aus Saigon hatte mir dafür ja schon mal „den Segen des Himmels“ zugesagt.

P. Stefan Taeubner SJ, Leipzig

Tadihoc macht Schule

Tadihoc ist Vietnamesisch und bedeutet so viel wie: „Lass uns zur Schule gehen!“ Ein Sozialprojekt der Jesuiten in Vietnam unterstützt Kinder und Jugendliche im Süden Vietnams, um ihr Recht auf Bildung durchzusetzen

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