– Krieg in der Ukraine

„Jemand muss das Licht sehen“

Seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine unterstützen wir unsere Partnerorganisationen im Einsatz für die Geflüchteten. Ebenso wichtig wie Hilfe in den Anrainerstaaten ist die Arbeit der Jesuiten in der Ukraine selbst. Zwei von ihnen – Mykhailo Stanchyshyn SJ und Andriy Zelinskyy SJ – berichten über ihren Einsatz. Im Mai und Juni wird P. Stanchyshyn auf dem Katholikentag in Erfurt und bei weitereren Veranstaltungen in Deutschland zu Gast sein.

Nach den Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR haben im Februar 2024 6,5 Millionen Menschen aus der Ukraine Zuflucht im Ausland gefunden. Rund 3,7 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht, und 14,6 Millionen in der Ukraine auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Andriy Zelinskyy SJ, Jesuit und Politikwissenschaftler, ist seit 2018 leitender Militärseelsorger der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche. Seine Mission im Krieg ist Menschlichkeit – ein „Dienst der Hoffnung”. Mykhailo Stanchyshyn SJ fuhr wenige Tage nach dem Angriff im Februar 2022 ins umkämpfte Charkiw, um dort Menschen in Not zu begleiten. Im Elend des Kriegs erlebt der Seelsorger auch Gerechtig­keit, Einigkeit, Freiheit und Menschlichkeit.

Frauen und Kinder tragen großes Leid

Der Krieg in der Ukraine ist weder am 24. Februar 2022 noch im Jahre 2014 mit der Eroberung der Halbinsel Krim und der östlichen Gebiete der Ukraine ausgebrochen. Die Ukrainerinnen und Ukrainer erfahren ständige Angriffe aus Russland bereits seit über drei Jahrhunderten. Angegriffen wurden immer wieder Sprache, Kultur, Geschichte, Glaube und nicht zuletzt das menschliche Leben.

Dieser Krieg tötet in erster Linie die Soldaten, die mit ihrem Leben das Land verteidigen. Heute sind es aber auch etwa sechs Millionen Flüchtlinge und 15 Millionen Umgesiedelte, meistens Frauen und Kinder, die das ganze Elend auf sich nehmen müssen. Zu Beginn des Krieges verließen ca. zwei Drittel der Einwohner Charkiws ihre Heimatstadt. Nach zwei Jahren des Krieges ist ein großer Teil  zurück­gekehrt, obwohl die Stadt und die gesamte Region bis heute oft bombardiert werden.

Leben am Abgrund

Wir schätzen, dass ein Drittel unserer Geflüchteten nicht mehr in die Ukraine zurück­kehren wird. Die Menschen, die sich entschließen zurück­zukehren, wollen weiterkämpfen und das Land aufbauen. Viele von ihnen brauchen Hilfe vom Staat, denn sie sind obdachlos geworden. In Charkiw begegnet man sehr oft Menschen, die aus den umliegenden Ortschaften, wie Isum, Balakleia und vielen Dörfern, geflüchtet sind. Aus Angst um ihr Leben, und weil sie ihre Wohnungen verloren haben. Hunderttausende von Kindern leben immer noch in den Gemeinden an der Frontlinie, traumatisiert, verängstigt und ohne die Möglichkeit, ihre Grundbedürfnisse zu stillen. 40 Prozent der ukrainischen Bevölkerung brauchen heute dringend humanitäre Hilfe.

Der Einsatz der Freiwilligen war von Anfang an bis heute eine enorm große Kraft, die überall zu spüren ist. Die Einheit und Brüderlichkeit in der Bevölkerung lassen uns hoffen, dass sich die Ukrainerinnen und Ukrainer diesmal endgültig von der russischen Besatzung befreien, ihren Kindern ein besseres Leben ermöglichen und nicht zuletzt – vor den Augen Europas und der ganzen freien Welt – ein Zeugnis ablegen von Werten wie Gerechtig­keit, Freiheit und Menschlichkeit.

Mykhailo Stanchyshyn SJ

Im Gespräch mit Mykhailo Stanchyshyn SJ

  • Sonntag, 26. Mai (19.30 Uhr): Berlin, St. Canisius (Witzlebenstraße 30); Messe um 18.30 Uhr
  • Montag, 27. Mai (18.30 Uhr): Nürnberg, St. Klara (Königstr. 64); Messe um 17.30 Uhr
  • Dienstag, 28. Mai (19 Uhr): München, Michaelssaal (Maxburgstr. 1); Messe um 18 Uhr
  • 29. Mai bis 2. Juni 2024: Katholikentag in Erfurt
  • Sonntag, 2. Juni 11.30 Uhr: Mannheim, Jesuitenkirche (A4 2), Gottesdienst und Predigt

Abstrakte Menschlichkeit existiert nicht

Es sind nun zwei Jahre vergangen, seitdem die russische militärische Aggression gegen die Ukraine ihre gewalttätigste – zuvor unvorstellbare – Dimension erreicht hat. Das Ergebnis sind völlig ausgelöschte Städte und Dörfer, zerstörte Schulen, Krankenhäuser und Wohngebäude, zerstörte Infrastruktur in vielen Regionen. Kampfdrohnen, Marschflugkörper, ballistische Raketen und Tonnen von schweren Artilleriegeschossen fliegen und explodieren täglich im ganzen Land, mitten in Europa.

Zehntausende verlorene Leben, entführte und deportierte Kinder, eine unbekannte Anzahl von Kriegsgefangenen, Millionen von Flüchtlingen. Jeder Krieg handelt von zerbrochenen Träumen, nie vollendeten Schulabschlüssen, nie gelebten Leben. Die gesamte Nation lebt ohne eine klare Perspektive für die unmittelbare Zukunft. Und das alles geschieht heute in unserer gemeinsamen und einzigen Welt.

Menschen helfen, um jeden Preis

Ein Militärseelsorger ist immer „ein Mann mit einer Mission“, der die Menschlichkeit in einer Militäruniform wiederherstellt. Besonders im Chaos des Krieges. Die ukrainische Armee besteht heute aus Opernsängern und Busfahrerinnen, IT-Spezialisten und Schauspielerinnen, Sporttrainern, Lehrerinnen, Fabrik- und Büroangestellten, Müttern und Vätern, Schwestern und Brüdern, Ehemännern und Ehefrauen, Söhnen und Töchtern. Alle werden zu Hause sehnsüchtig erwartet, aber nicht alle kehren zurück. Die Mission eines Militärseelsorgers während eines Krieges ist ein Dienst der Hoffnung. Jemand muss das Licht sehen, wenn der Schmerz die Welt dunkel erscheinen lässt.

Es ist ein einfaches und bescheidenes Ministerium: Inmitten von strategischen Entscheidungen und taktischen Manövern bleibt ein Kaplan im Dienst der Menschlichkeit selbst. Abstrakte Menschlichkeit existiert nicht, sie ist immer persönlich, konkret, verletzlich und tüchtig. Die Anwesenheit eines Geistlichen an einem Ort, wo die gesamte menschliche Zivilisation auf null reduziert zu sein scheint, wird sakramental. Die Menschheit zu schützen bedeutet, einem Menschen zu helfen, um jeden Preis, das Gute zu wählen, nach der Wahrheit zu suchen, für Gerechtig­keit zu kämpfen und sogar mitten in einer zerschlagenen Realität Schönheit zu erkennen.

Das Ausmaß der unmittelbaren Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine ist so groß, dass die meisten Menschen, die heute weltweit im Frieden leben, nur bei dem Versuch, sich die Schäden und  Gräueltaten vorzustellen, schnell erschöpft wären. Heute sind wir müde, aber definitiv noch stark genug, um für Frieden, für jedes einzelne Menschenleben, für die Menschheit selbst zu kämpfen.

Andriy Zelinskyy SJ

Nach der Flucht: Ankommen, Fuß fassen

Selbst wenn der Krieg in der Ukraine enden sollte, können viele Geflüchtete nicht in ihre zerbombten Heimatorte zurückkehren. Nach den Nothilfe-Maßnahmen der ersten Kriegsmonate unterstützen wir unsere Partnerorganisationen in Osteuropa jetzt bei der Integration der Vetriebenen in den Aufnahmeländern. Es geht um Wohnraum, Jobs und Sprachkurse

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