– Syrien

Hoffnung unter Schutt

Ein Vierteljahr nach dem verheerenden Erdbeben reist eine deutsch-syrische Familie nach Aleppo: eine Stadt, wo der Alltag einem Albtraum gleicht. Der Jesuiten-Flücht­lings­dienst (JRS) begleitet 1.000 Fami­lien, die alles verloren haben.

Kilometerlange Wälle aus Schutt säumen die Ränder verwüsteter Straßenzüge. Es mangelt überall am Notwendigsten: an Lebensmitteln, Medikamenten, Strom und Treibstoff. Tausende Kinder und Jugendliche ziehen durch die Straßen, die meisten haben seit Monaten, seit Jahren, keine Schule mehr besucht. Der zwölfjährige Bürgerkrieg hat Aleppo ausgeblutet und in weiten Teilen zerstört, die Reste der Stadt wurden am 6. Februar 2023 binnen Sekunden unter Schutt begraben: Eines der weltweit schlimmsten Erdbeben der vergangenen Jahrzehnte suchte die Stadt und die ganze Region im Norden Syriens sowie die südöstliche Türkei heim.

Fast 60.000 Menschen kamen ums Leben; die betroffenen Gebiete erstrecken sich über 350.000 Quadratkilometer, das entspricht in etwa der Fläche Deutschlands.

Überleben in Trümmern

„Früher war Aleppo eine wohlhabende Stadt, jetzt fühlt es sich an wie in der Dritten Welt“: Fadi Aslan ist mit seiner Familie vor acht Jahren aus Aleppo geflüchtet. Der Katholik wollte nicht zum Militär eingezogen und von der Regierung in einen sinnlosen Krieg geschickt werden. Jetzt lebt der Chemiker mit Frau Nour und den Söhnen Antoine und Joseph im bayerischen Hollenbach. Sie haben mit ihrem Start-Up solonaturkosmetik.de einen bewundernswerten Neustart hingelegt, produzieren und vertreiben Aleppo-Seife nach traditionellem Rezept; Nour arbeitet wieder als Lehrerin. Seit ihrer Flucht waren die Aslans nicht mehr zuhause: „Zu gefährlich“, sagte Fadi immer, schließlich gilt er in Syrien als fahnenflüchtig und würde bei einer Kontrolle in große Gefahr geraten.

„Jetzt müssen wir nach Syrien“, kündigte Fadi im April an, eindringlich. „Nach dem Erdbeben hatten wir tagelang keinen Kontakt nach Aleppo“, erinnert er die schwere Zeit nach dem Schock vom 6. Februar. Langsam wurde klar: Fadis und Nours Eltern und Verwandte hatten überlebt, die meisten ihrer Wohnhäuser sind zumindest in Teilen bewohnbar geblieben, vielleicht auch, weil der Krieg ihre Viertel weniger stark in Mitleidenschaft gezogen hatte. Doch das Leben der meisten Überlebenden in Aleppo wurde noch ein Stück härter und grausamer. Fadi und Nour waren vor dem Krieg in Aleppo in der ignatianischen „Gemeinschaft Christlichen Lebens“ engagiert und halten seit ihrer Flucht Kontakt zum Jesuiten-Flücht­lings­dienst.

Der JRS leistet den Menschen seit dem Abflauen der Kämpfe Beistand, betreibt im Stadtteil Al-Sakhour ein Nachbarschaftszentrum: Freizeitangebote für Kinder, psychologische Angebote, Sozialarbeit. Nach dem Erdbeben aber ging es, wie im Krieg, wieder nur um eines: Notversorgung. „Dank wertvoller Spenden konnte der JRS über 21.000 Lebensmittelpakete an über 50.000 Menschen in Aleppo ausgeben“, berichtet JRS-Landesdirektor Tony Riordan SJ. In den fünf Monaten nach dem Beben gaben JRS-Teams Tausende Hygiene-Kits aus, in drei JRS-Gesundheitszentren wurden mehr als 30.000 Menschen versorgt.

Die materiellen, körperlichen und psychischen Schäden sind kaum zu beziffern

Schließlich trauen sich Fadi und Nour und nehmen mit den Kindern in den Osterferien ein Flugzeug nach Beirut. Die Familie wurde vor Kurzem eingebürgert und hat jetzt deutsche Papiere. Mit einem Taxi geht es über die Grenze und – unbehelligt – weiter in ihre Heimatstadt in Trümmern, wo Antoine und Josef zum ersten Mal die Großeltern treffen. Wieder in Deutschland berichten sie ihren Freunden von ihrer Reise in eine andere Welt, die kaputt ist, trostlos und gefährlich. „In Aleppo haben die Menschen keine Hoffnung mehr“, sagt Nour, und von der Regierung in Damaskus sei keine Hilfe zu erwarten. Die materiellen, körperlichen und psychischen Schäden sind kaum zu beziffern.

Der Traum von Familie Aslan, einen Teil ihrer Seifenproduktion in ihre Heimstadt zu verlagern, wird vorerst nicht Wirklichkeit; stattdessen unterstützen sie die Arbeit des JRS: „Wir haben in den letzten Wochen 1.000 Fami­lien identifiziert, die dringend Unter­stützung brauchen“, berichtet Tony Riordan SJ, „sie haben Angehörige verloren und sind völlig mittellos.“

Syrien: Nachbarschaftszentren geben Halt

Nach 14 Jahren Bürgerkrieg droht Syrien eine ganze Generation zu verlieren: Sechs Millionen Schüler:innen zwischen 5 und 17 Jahren haben keinen regelmäßigen Unterricht, zwei Millionen besuchen überhaupt keine Schule. Unzählige Kinder und Jugendliche, viele von ihnen Binnenvertriebene, sind schwer traumatisiert. Nachbarschaftszentren des Jesuiten-Flüchtlingsdienst geben ihnen Halt und Perspektive

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