Ein Bericht von der Rückkehr in ein Dorf, in dem P. Hermann Bacher SJ vor vierzig Jahren Pionierarbeit in einem gemeinschaftsgeführten Watershed-Projekt geleistet hat.
Geh zu den Menschen. Lebe mit ihnen. Lerne von ihnen. Liebe sie. Beginne mit dem, was sie wissen. Baue mit dem, was sie haben… Wenn die Arbeit getan ist, werden die Leute sagen: ’Wir haben das selbst gemacht.’
Das Zitat von Lao Tse, einem chinesischen Philosophen aus dem 6. Jh. v. Chr., drückt kurz und bündig den Kern des Lebens und der Mission des Schweizer Jesuiten P. Hermann Bacher aus. Als wahrer Visionär glaubte er, dass ländliche Gemeinschaften Lösungen für die meisten Probleme haben, mit denen sie konfrontiert sind und nur wenig Unterstützung von aussen benötigen. Pater Bacher hatte langjährige Erfahrungen in der Entwicklung im dürregefährdeten Distrikt Ahmednagar im indischen Bundesstaat Maharashtra. Sie führten ihn zu der Erkenntnis, dass eine gemeinschaftsorientierte Watershed-Entwicklung die einzige langfristige Lösung ist, um wiederkehrende Dürren zu überwinden.
Watershed ist weit mehr als eine Form Bewässerung: Es geht um die Regeneration der Umwelt, um Aufforstung, biologischen Landbau, Solarenergie. Und es geht um Gesundheit, Frauenförderung, Bildung wie auch die Befähigung der Menschen für all diese Projekte – und damit letztlich um Wege aus der Armut.
Früher wurden die meisten Entwicklungsprojekte für die Menschen durchgeführt, aber nicht von ihnen. Pater Bacher glaubte, dass die aktive Beteiligung der Gemeinschaft an der Entscheidungsfindung, der Umsetzung und der Begleitung für eine ganzheitliche und nachhaltige Entwicklung unerlässlich ist. Denn bei den meisten Entwicklungsprojekten werden die Armen leicht von den Vorteilen einer verbesserten Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen ausgeschlossen. Auch profitieren Frauen weniger als Männer. Das langjährige Engagement von Pater Bacher an der Basis hat jedoch dazu beigetragen, dass alle Beteiligten Teil einer Win-Win-Situation werden.
Dank Watershed ist Kasare heute eine Oase mit fruchtbarem Boden, der ganzjähig bewässert werden kann. Das Grün der Pflanzen und Bäume prägt das Landschaftsbild.
Bild: Sozialzentrum Ahmednagar
Das Bacher Legacy Research Studies and Action Project (BLRSAP) wurde anlässlich des ersten Todestages von Pater Bacher am 14. September 2022 gestartet. Diese Initiative untersucht die Transformation und misst die Widerstandfähigkeit von drei Watershed-Gemeinschaften: Kasare, Pimpalgaon Wagha und Kaknewadi. Hier hat P. Bacher vor fast 40 Jahren Pionierarbeit für die von der Gemeinschaft geleiteten Watershed-Entwicklung geleistet. Im Rahmen des Bacher Legacy Projekts wurden nun Studien in allen drei Gemeinschaften durchgeführt, um den aktuellen sozioökonomischen Status der Dorfgemeinschaften zu dokumentieren. Und es wurden Fokusgruppendiskussionen organisiert, um die wichtigsten Anliegen jeder Gruppe zu verstehen.
Kasare ist eines der ältesten Watershed-Projekte in Maharashtra. Das Sozialzentrum Ahmednagar und Bacher Baba, wie P. Bacher liebevoll genannt wurde, wandten sich 1985 zum ersten Mal an das Dorf. Sie organisierten die Gemeinschaft rund um die Idee von Watershed. Kasare hat rund 1’600 Einwohnerinnen und Einwohner auf einer Fläche von 826 Hektar. Die bewässerte Fläche hat sich nach der Watershed-Entwicklung erheblich vergrössert. Es sind jetzt 343 Hektaren (ursprünglich: 26 Hektaren), von denen 73 Hektaren ganzjährig bewässert werden (ursprünglich: 6 Hektaren). Es gibt 139 Brunnen für die Bewässerung, 24 waren es vor der Entwicklung von Watershed. Auch das Anbaumuster hat sich geändert. Die meisten Bauern pflanzen jetzt Zwiebeln, Erbsen, Futtermittel und andere Kleinpflanzen an, die sie auch auf dem Markt verkaufen können. Vorher waren es fast nur Hülsenfrüchte für den Selbstbedarf. Die dörflichen Institutionen wie das Wasserkomitee, die Bauerngruppen und die Jugendgruppe laufen gut. Auch gibt es 13 aktive Frauenselbsthilfegruppen.
Heute, nach fast 40 Jahren, schätzt die Dorfgemeinschaft die Arbeit und die Auswirkungen auf ihr Leben immer noch. Shivaji Nimse, der Dorfführer von Kasare, sagt: „Die Entwicklung von Watershed hat nicht nur unser Land verjüngt, sondern die gesamte Gemeinde zu einer Einheit zusammengeschweisst. Es gibt Einheit und soziale Harmonie in unserem Dorf, obwohl wir unterschiedliche religiöse und kulturelle Hintergründe haben. Es gibt Gemeinschaftseigentum. Frauen haben in diesem Prozess eine aktive Rolle gespielt. Jeder trägt zur ganzheitlichen Entwicklung des Dorfes bei. Wir sind dem Sozialzentrum und Bacher Baba dankbar, dass sie die Saat des Wandels in unserem Dorf gesät haben.“
Watershed wird von der Gemeinschaft geleitet. Schon vor 40 Jahren wurde das ganze Dorf in die Watershed-Entwicklung einbezogen. Der zeitliche Unterschied zwischen den Bildern beträgt fast 40 Jahre. Der Bildinhalt bleibt sich gleich: Die Dorfgemeinschaft versammelt sich und entscheidet gemeinsam über die Watershed-Entwicklung in ihrem Dorf.
Bild: Sozialzentrum Ahmednagar
Obwohl sich die sozioökonomische Lage der Menschen stark verbessert hat, ist die vernünftige und nachhaltige Nutzung der Ressourcen nach wie vor ein grosses Anliegen. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass die derzeitigen landwirtschaftlichen Praktiken unzureichend sind, und es dringend notwendig ist, nachhaltige Praktiken wie ökologischen Landbau, klimafreundliche Bewirtschaftung, Tröpfchenbewässerung, Nutzung alternativer Energiesysteme und anderes mehr einzuführen. Die Studie empfahl auch, dass die Jugendlichen und Kinder mehr ökologisches Bewusstsein lernen, da die Zukunft des Dorfes von ihren Initiativen und ihrer Führung abhängt.
Es wurde deutlich, dass ein entscheidendes Element für den Erfolg des Programms die gemeinschaftsbasierten Organisationen sind, die nach wie vor eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Dorfes spielen. Auch Frauen haben durch ihre aktive Teilnahme zur Nachhaltigkeit des Projekts beigetragen. Jyothi Vilas Dhanvat, Präsidentin einer Selbsthilfegruppe, erinnert sich: „Früher waren Frauen nur mit dem Kochen und der Betreuung von Kindern und Familie beschäftigt. Wir durften das Haus nicht verlassen. In den Gruppen lernten wir Finanzwissen, praktisches Wissen und Fähigkeiten und begannen, Geld zu sparen. Wir kommen zusammen, diskutieren Probleme und nehmen zusammen mit den Männern an Dorftreffen teil, um unsere Perspektiven und Anliegen auszutauschen. Wir sind jetzt eigenständig und bringen unsere Ideen lautstark zum Ausdruck.“
Kasare ist ein Beispiel dafür, dass die Entwicklung von Watershed die ökologische Ressourcenbasis einer ländlichen Wirtschaft verbessert und nachhaltige Existenzmöglichkeiten für alle Mitgliederregionen schafft. Ein Netzwerk aller betroffenen Akteure, das heisst der Watershed-Regionen, der zuständigen Regierungsstellen, Nichtregierungsorganisationen, sowie der Hochschulen und Forschungseinrichtungen, ist wichtig für diese Entwicklung. Ziel des Bacher Legacy Projekts ist die Weiterführung des Vermächtnisses von P. Bacher und die Sicherung einer langfristigen Wirkung der Watershed-Projekte. Lokale Verantwortliche werden darin gestärkt, die Ressourcen ihrer Watershed-Region auf vernünftige, gerechte und nachhaltige Weise zu verwalten und zu entwickeln.
Fr. Siju Varghese SJ (Direktor Social Center Ahmednagar)
Übersetzung Janina Emmenegger