– JRS Bosnien-Herzegowina

„Eine Sünde, die zum Himmel schreit“

Auch in diesem Jahr versuchen Zehntausende Geflüchtete auf der Suche nach einem Leben in Frieden und Freiheit, über die sog. Balkanroute nach Europa zu gelangen. Für viele von ihnen ist die EU-Außengrenze zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien vorläufige Endstation. Beim Versuch, sie zu überqueren, sind immer mehr Geflüchtete gewaltsamen „Pushbacks“ durch Grenzschutzbeamte ausgesetzt, die in einigen Fällen sogar tödlich enden. Die Teams des Jesuiten-Flücht­lings­dienstes (JRS) dokumentieren die unmenschliche Praxis:

„,Sie haben uns getreten, als wären wir Fußbälle. Wir sind Menschen.‘ Dies ist nur eine der Aussagen, die wir bei einem Besuch an der Grenze gesammelt haben. Unser Ziel ist es, die zunehmende Gewalt an den Außengrenzen der Europäischen Union zu dokumentieren, um für das Recht der Geflüchteten auf Sicherheit und Schutz zu plädieren.

Unsere Arbeit beginnt dort, wo sich Flüchtlinge in Bosnien und Herzegowina aufhalten. Neben vorübergehenden Aufnahmeeinrichtungen sind das oftmals verlassene und zerstörte Gebäude.

Das Leid sichtbar machen

Bei regelmäßigen Feldbesuchen in den Gebieten um die Städte Bihać und Velika Kladuša, in der Nähe der Grenze zu Kroatien, hat unser Team Pakete mit Kleidung und Hygieneartikeln in improvisierten Lagern und verlassenen Häusern verteilt. Dabei lassen wir den Begünstigten nicht nur lebenswichtige humanitäre Hilfe zukommen, sondern auch Verständnis und Unter­stützung. Diese Begegnungen sind eine Gelegenheit zum Austausch von Erfahrungen sowie zum Aufbau von Freundschaften. Wir haben gemeinsam gekocht, geputzt und die Orte verbessert, wo sie übernachten.

Einige ihrer Geschichten und Erfahrungen werden dokumentiert und auf verschiedenen Webportalen in Bosnien und Herzegowina und Kroatien veröffentlicht. Auf diese Weise machen sie das Leid, das ihnen auf der sogenannten Balkanroute widerfahren ist, sichtbar, für andere Geflüchtete und für eine breite Öffentlichkeit.

Allein in den letzten zwei Monaten wurden bei unseren Feldbesuchen 950 gewaltsame Vorfälle aufgezeichnet, bei denen Geflüchtete an den Grenzen zurück­gedrängt wurden.

In diesen Berichten wird die psychische und physische Gewalt durch die kroatische Polizei geschildert. Den Menschen wurden ihre Handys, ihr Geld und ihre Schuhe weggenommen. Manchmal waren sie barfuß, trugen nassen Kleider, weil die Polizei sie zwang, einen Fluss zu überqueren. Manchmal trafen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Männer, die ihre Tränen vor uns versteckten, manchmal mit sichtbaren Beinbrüchen, manchmal mit anderen körperlichen Verletzungen und Bedarf an medizinischer Versorgung. Viele können nicht mehr richtig laufen, darunter Menschen, die von Polizeihunden gebissen wurden. Selbst Minderjährige, die auf freiem Feld gefunden wurden, haben ausgesagt, Opfer von Gewalt sowie gewaltsamer Beschlagnahme ihrer wenigen Habseligkeiten zu sein.

„Sie nahmen unsere Schuhe und Handys und zündeten sie an“

,Nachdem sie uns beim Grenzübertritt erwischt hatten, sperrten sie uns in einen engen Raum und fragten uns gelegentlich: Habt ihr Hunger? Wenn wir ja sagten, lachten sie und sagten: Es gibt kein Essen für euch.‘
(Junge Männer aus Afghanistan)

,Sie bedrohten uns mit Waffen. Sie nahmen unsere Schuhe und Handys, warfen sie auf einen Haufen und zündeten sie an. Das Geld behielten sie für sich. Dann zwangen sie uns, barfuß auf einer unbefestigten Straße zu laufen, richteten ihre Waffen auf uns und zwangen uns, durch den Fluss zu waten.‘
(Junge Männer aus Marokko, darunter zwei Minderjährige)

,Wir hatten bereits eine Busfahrkarte nach Karlovac gekauft. Wir waren in Vojnic. Ein Polizist kam auf uns zu und brachte uns zur Polizeistation. Wir baten um Asyl. Wir warteten in einem Raum, zu sechst. Vielleicht eine Stunde. Ich weiß es nicht. Wir sind eingeschlafen. Wir waren sehr müde. Wir waren sechs Stunden gelaufen. Wir hatten bereits unsere Tickets. Dann steckten sie uns in einen Lieferwagen und fuhren mit uns los. Je weiter wir fuhren, desto schlechter sah es aus. Vielleicht war eine halbe Stunde vergangen, vielleicht länger, ich weiß es nicht. Sie entluden uns im Wald. Dort warteten vier Polizisten in Schwarz mit schwarzen Sturmhauben. Sie nahmen unser Geld, unsere Handys und unsere Schuhe und warfen sie ins Feuer. Dann fingen sie an, uns mit ihren Füßen zu treten, als wären wir Fußbälle. Sie zwangen uns, den Fluss zu überqueren, schwenkten Stöcke. Und wieder sind wir eine lange Strecke barfuß gelaufen.‘
(Eine Gruppe von sechs jungen Männern aus Nepal)

Im vergangenen Jahr und zu Beginn dieses Jahres haben wir die NGO Human Rights Watch bei der Sammlung und Dokumentation von Gewaltfällen unterstützt, die in einem 94-seitigen Bericht zusammengefasst wurden.

Damit wollen wir Einfluss nehmen, dass grundlegende Menschen­rechte auf Sicherheit und Schutz gewährleistet werden. Was derzeit an der Grenze der Europäischen Union geschieht, ist eine ernste Verletzung dieser Menschen­rechte. Es ist eine Sünde, die zum Himmel schreit. Eine Sünde, über die wir nicht schweigen wollen.“

Roberta Niksic (JRS Bosnien-Herzegowina)

JRS Balkan: Barmherzigkeit statt Pushbacks

Entbehrungen, Gewalt, geschlossene Grenzen: Für viele Geflüchtete wird die „Balkanroute“ zum Spießroutenlauf. Im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina, Serbien und Kroatien begegnen die Teams des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS) den Migrant:innen mit Menschlichkeit und Pragmatismus

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