Fast jede Familie hat Gefallene zu beklagen: Christian Braunigger SJ vor einer Tafel mit Fotos von Soldaten aus Lviv, die im Krieg umgekommen sind.

 – Ukraine

Die grausame Normalität des Krieges

Um selbst einen Eindruck von der Lebenssituation in der Ukraine zu gewinnen, ist Missionsprokurator Christian Braunigger SJ mit seinem österreichischen Mitbruder Christian Marte SJ nach Lviv (Lemberg) und nach Czernowitz gereist. Dort unterstützen wir Projekte für Menschen, die landesintern geflohen sind. Pater Braunigger berichtet: „Mittlerweile hat fast jede Familie Gefallene zu beklagen. Die Stimmung im Land ist bedrückend.“

Die Bevölkerung in der Metropolregion umfasst ca. 750.000 Menschen sowie zurzeit ca. 250.000 Binnenflüchtlinge. In Lviv ist hörbar, dass Krieg herrscht. Fliegeralarm gehört zum Alltag. Entsprechend reagiert niemand auf der Straße, wenn wieder die Sirene heult. Pater Oleksii, ein ukrainischer Mitbruder, weiß aus dem Internet: Etliche russische Flugzeuge sind aufgestiegen und unterwegs in Richtung Ukraine, um Raketen abzufeuern. Der Fliegeralarm wird im ganzen Land ausgelöst, um die Bevölkerung allgemein zu warnen. Welche Region betroffen ist, wird dann oft erst Stunden später klar. Bei Fliegeralarm wird der Schulunterricht unterbrochen, die Kinder müssen in den Keller und warten, bis es Entwarnung gibt; das kommt einige Male in der Woche vor.

In Lviv ist auch sichtbar, dass Krieg herrscht. Der Soldatenfriedhof wird immer größer. Wenn ein Soldat im Krieg fällt, wird er in seiner Heimat bestattet. In der Militärkirche in Lviv wird täglich ein Requiem gefeiert, mit einem, zwei oder drei Särgen. Mittlerweile hat fast jede Familie Gefallene zu beklagen. Die Stimmung im Land ist bedrückend.

Ein sicherer Hafen und die Suche nach Gott

Zusammen mit Pater Mykhailo besuchen wir eine Flüchtlingsunterkunft des JRS. Dort leben derzeit ca. 25 Personen – ausschließlich Frauen und Kinder sowie ein älterer, kranker Mann. Die Fami­lien kommen aus Städten wie Mariupol und Charkiw und aus der Region Donbass. Die Fami­lienväter befinden sich entweder im Krieg oder haben wichtige Tätigkeiten in der Heimat.

Wie geht es den Fami­lien im JRS-Zentrum?

Für Tatjana, eine der Frauen, ist die Unterkunft ein sicherer Hafen: „Hier werde ich als Mensch betrachtet und bin nicht nur eine Nummer“, sagt sie. Andere schätzen die psychologische Unter­stützung sowie die Hilfe bei der Suche nach Schulen. Eine Frau berichtet, dass sie bisher wenig mit Kirche und Gott zu tun hatte. Durch einige Gespräche mit den Jesuiten vor Ort und aufgrund der Gesamtsituation habe sie jetzt einen Zugang zu Gott gefunden.

Dankbarkeit und Hoffnung im JRS-Zentrum

Beim Abschied werden wir aufgefordert zu warten. Eine junge schwangere Frau, Katarina, will uns noch etwas schenken. Sie kommt mit einem Bild zurück, das sie gemalt hat. Zu sehen ist eine Landkarte der Ukraine. In der Region Lviv ist ein Herz in den Nationalfarben der Ukraine zu entdecken, zusammen mit dem Kürzel JRS. Pfeile zeigen an, woher die Geflüchteten kommen, und um die Landkarte herum gibt es viele Blumen; das gesamte Bild ist in warmen Farben gehalten.

Auch Pater Mykhailo strahlt trotzt der schwierigen Situation eine große Zuversicht aus. Er arbeitet üblicherweise ca. 30 Kilometer von Lviv entfernt, auf dem Land, wo er vor einigen Jahren eine Schule des Gebets aufgebaut hat. Viele Binnenflüchtlinge aus der Region suchen auch dort Hilfe. Zum einen versuchen sie, in der Stille zu sich selbst und zu Gott zu finden. Das Seelsorgeangebot ist speziell auf die Bedürfnisse der Geflüchteten angepasst. Gleichzeitig bieten Therapeutinnen und Therapeuten traumatisierten Menschen eine erste psychologische Beratung an. Ein vergleichbares Zentrum soll nun auch in Czernowitz eingerichtet werden.

Auf meiner Reise durfte ich in verschiedenen Situationen neben der bedrückenden Stimmung im Land auch viel Dankbarkeit und Hoffnung spüren. Dass Menschen mit Zuversicht in die Zukunft schauen, ist auch dank Ihrer Hilfe möglich!

Christian Braunigger SJ

Nach der Flucht: Ankommen, Fuß fassen

Selbst wenn der Krieg in der Ukraine enden sollte, können viele Geflüchtete nicht in ihre zerbombten Heimatorte zurückkehren. Nach den Nothilfe-Maßnahmen der ersten Kriegsmonate unterstützen wir unsere Partnerorganisationen in Osteuropa jetzt bei der Integration der Vetriebenen in den Aufnahmeländern. Es geht um Wohnraum, Jobs und Sprachkurse

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