– Äthiopien
Die größte Not lindern
Ein weiterer Konflikt in Ostafrika schafft neues Leid: In Äthiopiens Krisenregion Tigray und in der Hauptstadt Addis Abeba hilft der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) Binnenvertrieben zu überleben.
Der Osten Afrikas kommt nicht zur Ruhe: Millionen Menschen sind auf der Flucht vor Dürren, Überschwemmungen, Hunger und zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen. Neuer Krisenherd ist die nordäthiopische Provinz Tigray: Ein langer schwelender Konflikt eskalierte im November 2020, als die äthiopische Regierung eine Offensive gegen die separatistische Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) startete, die seit 1991 die Regionalregierung stellt. Die Gemengelage ist komplex: Auf der einen Seite stehen verschiedene Milizen aus dem Umfeld der von der Zentralregierung abgesetzten Regionalregierung, auf der anderen Seite die äthiopischen Streitkräfte, Milizen aus der Nachbarregion Amhara sowie die Streitkräfte Eritreas, des jahrzehntelangen Erzfeinds Äthiopiens.
Millionen droht eine Hungersnot
Die Zivilbevölkerung trägt die Konsequenzen des Bürgerkriegs: Über eine Million Menschen musste fliehen, trotz eines einseitigen Waffenstillstands des äthiopischen Militärs haben nach UN-Schätzungen „mehr als 400.000 Menschen die Schwelle zur Hungersnot überschritten“, sagte der amtierende Chef des UN-Nothilfebüros OCHA, Ramesh Rajasingham, weitere 1,8 Millionen Menschen stehen kurz davor.
Die meisten Binnenvertriebenen leben in prekären Verhältnissen und sind vollständig von staatlicher und internationaler humanitärer Hilfe sowie von der Großzügigkeit der Gastgemeinden abhängig, die ebenfalls vom Konflikt betroffen sind. Ein Nothilfe-Projekt des Jesuiten-Flüchtlingsdiensts (JRS) nimmt sich jetzt den am meisten gefährdeten Binnenvertriebenen und Mitgliedern der Gastgemeinden an.
Im Fokus steht vor allem der Distrikt Tselemti: Hier haben viele Binnenvertriebene aus den zentralen, westlichen und südlichen Gebieten Tigrays Zuflucht gesucht. Gemäß einer Erhebung des JRS Ethiopia leben hier über 28.500 Geflüchtete, darunter sind ältere Menschen, schwangere Frauen, Menschen mit Behinderungen, stillende Frauen und Kinder unter fünf Jahren, die besonderen Schutz benötigen und deren Grundbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Zugang zu medizinischer Grundversorgung nicht erfüllt sind. Allein in der Stadt Mai-Tsebri wurden 400 geflüchtete schwangere Frauen und 1.783 Kinder unter fünf Jahren registriert.
Armutsfalle
„Der Zugang zu Nahrungsmitteln und die Aufrechterhaltung eines adäquaten Ernährungszustandes sind entscheidende Faktoren für das Überleben der Menschen in einer Katastrophe“, sagt JRS-Landesdirektor Neway Alemayehu. „Unterernährung beeinträchtigt die Entwicklung der Menschen und schafft eine Armutsfalle, die auch nach der Vertreibung weiterbesteht. Daher ist es notwendig, die Menschen zu erreichen, die Nahrungsmittelhilfe benötigen, und die größte Not zu lindern, die der Konflikt ihnen auferlegt.“
Neben Lebensmitteln verteilt der JRS Hygieneartikel, Decken und Kleidung – sowie Gesichtsmasken, um eine Ausbreitung des Corona-Virus zu verhindern: „Angesichts der hohen Prävalenz von COVID-19 und der Nachfrage ist es gerade in dieser Zeit des Konflikts, in der das Flüchtlingslager dicht besiedelt ist, unerlässlich, sich selbst und andere vor COVID-19 zu schützen. Daher werden wir 1.200 der an den stärksten gefährdeten Personen mit Masken und Desinfektionsmittel versorgen“, berichtet Neway Alemayehu.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Hilfsmaßnahmen ist die psychosoziale Betreuung traumatisierter Geflüchteter: Zwei Psychologinnen und Psychologen bzw. Sozialarbeiter:innen stehen den Menschen für Gruppen- und Einzelgespräche zur Verfügung. Insgesamt will der JRS in der Zeit von Juli 2021 bis März 2022 mit einem Gesamtbudget von 150.000 Euro in Tigray 2.500 Menschen helfen.
Tausende Kinder auf der Flucht
Schon seit Ausbruch des Konflikts bevölkert eine immer größer werdende Schar unbegleiteter geflüchteter Kinder aus der Krisenregion die Straßen von Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba. Der JRS reagiert durch umfassende Angebote im Kinderschutzzentrum, Hilfe bei der Zusammenfühung von Familien und bei der Suche nach verantwortungsvollen Pflegeeltern.
Die meisten dieser Kinder, es sind Tausende, stammen ursprünglich aus Eritrea. Ihre Familien hatten sich in Tigray niedergelassen. In Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen UNHCR und den Behörden nimmt sich der JRS dieser Kinder an, um ihre Fälle individuell zu bearbeiten. Ziel ist es, die Kinder mit ihren Familien zu vereinen, wobei stets das Kindeswohl im Vordergrund steht. In der Zwischenzeit fördert der JRS eine familienbasierte alternative Betreuungsregelung mit Pflegeeltern, die bereit sind, den Kindern Fürsorge und Schutz zu bieten.
Sprachkurse und Einzelfallhilfe
Das Kinderschutzzentrum (Child Protection Center, CPC) des JRS ist einzigartig in Addis Abeba und bietet umfassende Versorgungsangebote für städtische Flüchtlingskinder. Dazu zählen intensive und zeitnahe Einzelfallhilfe einschließlich Betreuungsmöglichkeiten, psychosoziale Unterstützung in Einzel- und Gruppenberatung, kunsttherapeutische Angebote, finanzielle Notfallhilfe und Unterstützung für Pflegeeltern.
Das CPC bietet Sprachkurse für Englisch und die Landessprache Amharisch an, um zu ermöglichen, dass die Flüchtlingskinder leicht kommunizieren und sich in ihre Gastgemeinde integrieren können. Außerdem gibt es Musik- und Kunstunterricht, eine Bibliothek sowie Freizeitaktivitäten drinnen und draußen.
Bildung lohnt sich – immer
„Eine der größten Herausforderungen für den JRS ist es, zuverlässige und zuvorkommende Pflegefamilien zu finden, in denen sich die Kinder willkommen, sicher und glücklich fühlen können“, berichtet Programm-Koordinator Abraham Haile, „die zweite ist, die Kinder und ihre Gastfamilien davon zu überzeugen, sich in der Schule anzumelden. Aufgrund ihrer Fluchtsituation und der hohen Erwartung einer Wiederansiedlung, glauben viele Geflüchtete, dass ein Schulbesuch unnötig ist. Daher muss der JRS das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Bildung schärfen, ganz unabhängig von den Lebensumständen.“
Die steigende Zahl von Flüchtlingskindern in den örtlichen Schulen zeigt: Es lohnt sich!
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