Lok Manch: Dalit und Adivasi erhalten Zugang zu ihren Bürgerrechten in Indien

Mit dem Projekt Lok Manch setzten sich die Jesuiten in ganz Indien dafür ein, dass Dalit und Adivasi Zugang zu ihren Bürgerrechten erhalten. Lok Manch heisst übersetzt Forum des Volkes. Es ist ein Zusammenschluss von über 100 jesuitischen und zivilen Organisationen in 13 Bundesstaaten (auf der Karte rot eingezeichnet).

In Indien besteht seit vier Jahrtausenden ein Kastensystem. Die Gesellschaft ist hierarchisch strukturiert und die Kasten bestimmen jeden Lebensbereich der Menschen. Die indische Verfassung von 1950 hat das Kastensystem abgeschafft und verbietet jegliche Diskriminierung aufgrund der Kastenzugehörigkeit. Trotzdem ist es bis heute in der indischen Gesellschaft verankert.

Die Unberührbaren – genannt Dalit – stehen ausserhalb des Kastensystems und erfahren bis heute die grösste Diskriminierung in Indien. Zu ihnen gehören auch Angehörige von Stammesgemeinschaften – genannt Adivasi – die mehrheitlich in ländlichen Regionen leben. Ihre sozialen Strukturen, Traditionen und Bräuche werden in eine Position der Unterlegenheit gedrängt. Ihr Zugang zu Institutionen und der Bezug von sozialen Leistungen, sowohl im staatlichen wie auch im privaten Sektor, ist stark eingeschränkt. Sie sind Opfer aktiver Diskriminierung, Unterdrückung und Gewalt und werden systematisch vom gesellschaftlichen Entwicklungsprozess ausgeschlossen.

Die indische Regierung hat in den letzten zehn Jahren mehrere Programme gestartet, die es den Dalit und Adivasi ermöglichen sollen, ein gleichberechtigter Teil der indischen Gesellschaft zu werden und weniger Diskriminierung zu erfahren. Dazu gehören zum Beispiel Arbeitsplatzquoten in der öffentlichen Verwaltung, der Einkauf von Grundnahrungsmitteln zu subventionierten Preisen, Zugang zu Wasser und Hygiene, Recht auf Bildung, Zugang zu Witwen- und Waisenrenten u. v. m. Viele Dalit und Adivasi wissen aber nichts von diesen Rechten und Privilegien. Hinzu kommt ein fehlender politischer Wille der Regierung, diese Gesetze und Programme wirksam umzusetzen, und eine weit verbreitete Kultur der Korruption und Diskriminierung. Dies führt dazu, dass Millionen Menschen weiterhin nur unzureichend vom Bildungs-, Gesundheits- und Rechtssystem des Landes profitieren können.
 
1. Phase 2015–2018: Ausbildung von lokalen Führungspersonen und Ernährungssicherheit

Die Organisationen von Lok Manch bilden seit 2015 in 13 Bundesstaaten lokale Führungspersonen aus den Gemeinschaften der Dalit und Adivasi aus. Sie setzen sich dafür ein, dass die Menschen im ländlichen Raum und in urbanen Grenzregionen ihre Rechte kennen und ihren Anspruch darauf einfordern können. Sie helfen den Menschen bei der Beantragung von Rentenansprüchen, von einer Lebensmittelkarte, von Dokumenten ihrer Identität. Sie klären die Bevölkerung über ihre Rechte auf, veranstalten Dorfversammlungen und Kundgebungen und sensibilisieren die Menschen. Und sie machen Korruption und Fehlverhalten in diesen Programmen öffentlich, um Druck auf die Politik auszuüben.
Die Führungspersonen setzten sich freiwillig und in ihrer Freizeit für die Anliegen ihrer Gemeinschaften ein. Lok Manch fördert diese Freiwilligkeit und gibt den Führungspersonen die notwendigen Werkzeuge mit auf den Weg. Dadurch werden sie zu aktiven Mitgliedern ihrer Gemeinschaft. Bis 2021 konnten in ganz Indien bereits 5520 lokale Führungspersonen ausgebildet werden. Sie sind in 2100 Dörfern aktiv und erreichen 316’000 Haushalte direkt. Indirekt werden weitere 500’000 Haushalte erreicht.
Im Fokus von Lok Manch steht die Durchsetzung des National Food Security Act von 2013, der die weit verbreitete Unterernährung im ganzen Land bekämpfen soll. Die nationale Regierung unterstützt kostenlose Mittagstische für Kinder an allen öffentlichen Schulen, stellt eine grundlegende medizinische Versorgung für Mütter, Säuglinge und kleine Kinder sicher und subventioniert Grundnahrungsmittel für die arme Bevölkerung. Vor allem beim letzten Punkt sind die lokalen Führungspersonen von Lok Manch sehr erfolgreich. Sie setzen sich dafür ein, dass in ihren Dörfern ein Laden entsteht, der die subventionierten Lebensmittel verkauft. Sie klären die Dorfbevölkerung darüber auf, dass sie ein Recht auf diese Lebensmittel haben und helfen ihnen dabei, eine Lebensmittelkarte zu erhalten, mit der sie in diesen Läden einkaufen können.
 

2. Phase 2019–2021: Ernährungssicherheit und Zugang zu Dienstleistungen

In einer zweiten Phase von 2019 bis 2021 hatte die Ernährungssicherheit weiterhin Priorität. Darüber hinaus wurden die Führungspersonen vermehrt auch in anderen Feldern aktiv. Sie setzten sich bei der lokalen Regierung für ihre Dorfgemeinschaften ein, organisierten eigene Kampagnen und führten Aktivitäten durch. Je nach Bedürfnis der Region sorgten sie für den Bau von Brunnen und richtigen Strassen, den Zugang zu Gesundheitsdiensten und zu Elektrizität sowie für mehr Rechte für Witwen u. v. m.
 

3. Phase 2022–2024: Nationale Vernetzung und Klimagerechtigkeit

2022 startete die dritte Phase von Lok Manch. In den nächsten drei Jahren werden weitere 450 lokale Führungspersonen ausgebildet. Die Aus- und Weiterbildung und die Begleitung der Führungspersonen werden nicht mehr durch die lokalen Organisationen von Lok Manch durchgeführt. Erfahrene und themenspezifische Fachleute bieten neue Ausbildungsmöglichkeiten an und erlauben den Führungspersonen, ihre Aktivitäten auf spezifische Themenfelder zu konzentrieren.
Die Führungspersonen vernetzen sich untereinander stärker. Sie gründen Komitees zu den verschiedenen Grundrechten und stellen eine Verbindung zu den lokalen Regierungen her, um diese Rechte durchzusetzen. Sie versuchen, neben bestehenden Programmen der Regierung, auch neue Programme anzustossen, die den Bedürfnissen und Lebensumständen der Dalit und Adivasi entsprechen. Die Aktivitäten der Führungspersonen verschieben sich zusehends von der lokalen Ebene auf die bundesstaatliche und nationale Ebene. Sie können noch mehr Menschen erreichen und erhalten auf politischer Ebene mehr Gewicht.
Auch Klimagerechtigkeit wird zu einem immer wichtigeren Thema. Dalit und Adivasi leiden unter den Klimaveränderungen: Überschwemmungen, Dürre, Hitzewellen beeinflussen ihr Leben. Der Grundwasserspiegel sinkt immer weiter und der unregelmässige Regen kann die Wasserreservoire nicht mehr auffüllen. Die Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage. Ihre Gesundheit verschlechtert sich durch Verschmutzung und schlechte Ernährung. Die Führungspersonen starten Aufklärungskampagnen, um den Dorfgemeinschaften zu helfen, sich an die Klimaveränderungen anzupassen. Es braucht dazu die ganze Gesellschaft. Lok Manch ermächtigt arme und ausgeschlossene Menschen und fördert resistente Gemeinschaften.