Als die ersten Highschool-Absolventen im November 2016 in die neu eröffnete Mittelschule eintraten, war vieles noch behelfsmässig. So mussten sie in einem Klassenzimmer der Grundschule unterrichtet werden und es fehlte ein Ort, wo sie am Mittag gemeinsam essen konnten. In den folgenden Jahren unternahmen Lehrer der öffentlichen Schulen, Freiwillige aus dem Ausland und internationale Jesuiten der kambodschanischen Mission, die zur Provinz Südkorea gehört, grosse Anstrengungen, um der Klasse trotz der widrigen Umstände eine gute Ausbildung zu bieten. Ein Schüler erinnerte sich an einer Klausurtagung vor der Abschlussfeier: «Wir waren so froh, dass wir an der XJS weiter zur Schule gehen konnten. Während der Regenzeit mussten wir zwar unsere Fahrräder hochheben und tragen, weil die Strasse so schlammig war. Aber wir waren glücklich!»
Drehscheibe für Entwicklung
Die brutale Herrschaft der Roten Khmer in Kambodscha fand erst in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts ein Ende. Sie hat bis heute Folgen für das Bildungswesen. Infolge der Morde an Intellektuellen – 90 Prozent aller Lehrerinnen und Lehrer verloren ihr Leben – fehlt dem Land bis heute Lehrpersonal und akademischer Nachwuchs. Kambodscha gehört zudem zu den ärmsten Ländern Südostasiens, das Land kämpft mit politischer Instabilität, Korruption und einer mangelnden Gesundheitsversorgung. Deshalb entschieden die Jesuiten, in Kambodscha ein eigenes Bildungsprojekt in der abgelegenen Provinz Banteay Meanchey im Nordwesten des Landes anzusiedeln. Hier brachen viele Kinder die Schule vorzeitig ab und die Alphabetisierungsrate bei Erwachsenen war sehr niedrig. Bereits 2014 konnte als Erstes der Kindergarten eröffnet werden. Ziel war eine Schule, welche die Partizipation der Kinder stärkt und mit Erlebnispädagogik arbeitet.
In den öffentlichen Schulen sind noch immer Frontalunterricht und Auswendiglernen die Regel. Neben der praktischen und wissenschaftlichen Bildung sollen zudem bei den Kindern aller Stufen Mitgefühl und Freude am Dienst an der Gemeinschaft gefördert werden. Inzwischen ist unsere Schule nicht nur eine Bildungseinrichtung für Kinder: Neben der ständigen Weiterbildung der Lehrkräfte, die an unserer Schule unterrichten, bieten wir auch Workshops und Austausch für die Lehrkräfte der öffentlichen Schulen an. Unser Ziel ist, dass Lehrerinnen und Lehrer sich kritisches, kreatives Denken aneignen und sich für soziale Themen engagieren. Denn eine starke Gesellschaft mit gut ausgebildeten Bürgerinnen und Bürgern ist für die Zukunft Kambodschas zentral. Zum anderen verstehen wir uns als Drehscheibe für allgemeine Entwicklungsaktivitäten. Daher unterstützen unsere Lehrkräfte und Studierenden auch regelmässig Lehrpersonen und Kinder der abgelegenen öffentlichen Schulen.
Ganzheitliche Bildung für Kinder und Jugendliche
Neun Jahre nach ihrer Gründung entwickelt sich die Xavier Jesuit School dynamisch weiter. Sie hinterlässt einen bemerkenswerten Eindruck bei der Bevölkerung in Banteay Meanchey. Die Zahl der eingeschriebenen Kinder steigt von Jahr zu Jahr, 2022 waren es total 884 – vom zweijährigen Kindergarten über die sechsjährige Grundschule bis zur dreijährigen Mittelschule und der anschliessenden dreijährigen Highschool. Die Eltern wollen ihre Kinder vor allem wegen der hervorragenden Betreuung in unsere Schule schicken. Sie erwähnen auch, dass sich unser unermüdliches Engagement und die hohe Präsenz der Lehrpersonen, die Qualität des Unterrichts und die gute Disziplin der Kinder von anderen Schulen unterscheidet.
Darüber hinaus strebt die XJS eine ganzheitliche Bildung an, indem wir zusätzlich zu den vom Ministerium geforderten akademischen Fächern auch praktische Aktivitäten wie Landwirtschaft, Kunst, Informatik, Hauswirtschaft, Musik und Sport anbieten. Mit ausserschulischen Aktivitäten wie thematischen Clubs, Studienreisen und Workshops wird der Horizont der Schülerinnen und Schüler zusätzlich erweitert. Indem den Kindern und Jugendlichen Zeit für Meditation, Klausurtagungen oder Exerzitien eingeräumt wird, fördert die jesuitische Schule zudem ihre Selbstreflexion.
Auf dem Weg zur Unabhängigkeit
Die Lernbedingungen haben sich mit dem Bau von Klassenräumen, Bibliotheken, Fussballplätzen, Kantinen, Mehrzweckhallen und Toiletten kontinuierlich verbessert. Inzwischen konnten rund 80 Prozent der am Anfang geplanten Schulbauten errichtet werden, und es erscheint realistisch, bis 2030 das Ziel von 1100 Schülerinnen und Schülern zu erreichen. Nachdem 2023 die Toiletten, Waschräume und eine Kantine für die Mittelschule errichtet worden sind, fehlen noch Labore und Lehrerzimmer für die Mittelschule, ein zentrales Verwaltungsgebäude sowie weitere Sportplätze.
Von Anfang an hat die XJS einen Stipendienfonds eingerichtet, aus dem langfristig mindestens ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler, die an der XJS aufgenommen werden, ein Stipendium erhalten sollen. Dieser ermöglicht auch Kindern aus sehr armen Familien den Zugang zu einer hochwertigen Ausbildung.
Als Schulleitung sind wir uns bewusst, dass wir noch konkreter Finanzstrategien und -modelle ausarbeiten müssen, um eines Tages unabhängig zu werden und den Betrieb und die Weiterentwicklung unserer Schule nachhaltig sicherzustellen. Wie sehr es sich lohnt, langfristig in Bildung zu investieren, betont auch Han Chhinhly aus der Abschlussklasse 2022: «Eine Sache, die ich am meisten schätze von all dem, was ich bei XJS gelernt habe, ist die Bedeutung von Ehrlichkeit. Ehrlichkeit kann mir helfen, mit allen Problemen umzugehen, die mir an meinem neuen Arbeitsplatz begegnen könnten. Auch dass ich gelernt habe, als Person für andere da zu sein, wird mir den Eintritt ins Arbeitsleben erleichtern.»